Kann jeder Mensch Selbstliebe entwickeln? Auch jemand, der als Kind von seinen Eltern schlecht behandelt und ständig abgewertet wurde und dadurch später eine Drogenabhängigkeit entwickelte? Wenn ja, wie?
Auch das ist eine schriftliche Anfrage gewesen. Hier die Antwort:
Ganz sicher kann jeder Mensch Liebe zu sich selbst entwickeln. Zuvor muss aber die Vergangenheit verarbeitet werden. Bei einem Menschen, der von den Eltern schlecht behandelt wurde und der keine Liebe erfahren hatte, bei dem hat sich eine Menge an seelischer Last angesammelt.
Zunächst etwas zur Selbstliebe
Um Liebe zu sich selbst zu entwickeln, muss der Mensch in Kontakt mit sich kommen. Er muss sich erst einmal gründlich kennenlernen. Es ist bei der Selbstliebe genauso wie bei der Liebe zu einem anderen Menschen: Die Liebe kann sich nicht entwickeln, wenn ich den anderen nicht kenne. Um mit sich in Kontakt zu kommen, darf keine Ablenkung dazwischen stehen. Der Mensch muss sich in Ruhe mit sich selbst beschäftigen können. Er darf sich nicht mit TV, Lesen, Sport, Drogen oder etwas anderem ablenken oder dicht machen. Durch wiederholten innigen Kontakt zu sich erwächst mit der Zeit für sich selbst Verständnis, Akzeptanz und letztlich Selbstliebe. Das ist sicher.
Jetzt der andere Punkt
Sind unverarbeitete Erlebnisse vorhanden, werden die Erinnerungen automatisch und in Phasen der Ruhe nach oben ins Bewusstsein drängen. Warum? Weil seelische Verarbeitung so funktioniert. Wir verarbeiten, in dem die Seele einen Kontakt zum Thema herstellt. Das tut sie in Form von Erinnerungen, Bildern und Gefühlen (bei traumatisierten Menschen werden nicht selten auch Flashbacks auftreten). Ohne den sich wiederholenden Kontakt zum Thema kann Verarbeitung nicht stattfinden. Die Seele ist ein Wiederkäuer, und sie kaut sehr gründlich. Wenn also der belastete Mensch sich daran macht in Kontakt mit sich zu kommen, wird er sehr wahrscheinlich die Erfahrung machen, dass ihn alte Gefühle und Erinnerungen überfluten. Er wird spüren, dass die Intensität ansteigt, denn das ist der normale Verlauf. Aus Unwissenheit über den ablaufenden Prozess wird er Angst entwickeln und aus dem Prozess aussteigen. Meist durch irgendeine Form der gezielten Ablenkung oder den Konsum von Alkohol / Drogen etc. Denn es fühlt sich unendlich schmerzhaft an und der Sinn des inneren Geschehens erschließt sich ihm nicht. Der Mensch weiß ja nicht, dass gerade etwas heilsames in ihm geschieht. Er ist der Auffassung, der innere Prozess sei schädlich. Ein Verarbeitungsprozess ist aber weder schädlich noch geht von ihm eine Gefahr aus, selbst wenn er sich vernichtend anfühlt. Alles, was hochkommt ist „nur“ das emotionale Echo eines vergangenen Knalls im Leben, welches sich jetzt den Weg hinaus aus der Seele bahnt.
Fazit
Zuerst muss die Seele ihren Ballast verarbeiten. Erst dann wird der Mensch einen störungsfreien Kontakt zu sich selbst herstellen können, der ihn in die Selbstliebe führt. Einen anderen Weg gibt es nicht.
Ihnen alles Gute!
Peter Stapel